Lesen lernen in der Grundschule
Bereits zwei unserer Kinder durfte ich in den vergangenen Jahren beim Lesestart begleiten.
Während eines unserer Kinder das Lesen fast beiläufig in der Schule lernte, bekamen wir jüngst durch das „Home Schooling“ einen vergleichsweise genauen Einblick in die Didaktik der 1. Klasse.
Lesenlernen beginnt schon beim Vorlesen
Rund 32 % der Eltern in Deutschland lesen ihren Kindern laut einer Studie von Stiftung Lesen selten bis nie vor. Neben dem offensichtlichen Zeitmangel gaben 49 % der Eltern an; Vorlesen mache ihnen keinen Spaß.
Dabei sind die Vorteile für Kinder groß: Vorlesen begünstigt nicht nur die Lesemotivation von Kindern, es fördert auch die sprachliche und emotionale Entwicklung.
Was das Vorlesen so wichtig macht? Neben dem Beleben der Fantasie hilft es vor allem beim Vertrautmachen mit der deutschen Schriftsprache.
Die Schriftsprache kennzeichnet sich nämlich durch Grammatik, die Kinder so im alltäglichen Sprachgebraucht nur selten wahrnehmen oder gar nutzen.
Um Worte beim Lesen möglichst schnell erfassen und verarbeiten zu können, hilft es ungemein, wenn Kinder diese gut kennen und zuordnen können.
Auf der Suche nach passendem Lesestoff
Sind die ersten Seiten in der Fibel erfolgreich gemeistert, fängt der Lesespaß erst so richtig an. Oder etwa nicht?
Bekanntlich lernt jedes Kind in seinem Tempo und so wundert es sicher niemanden, dass es hier keine Pauschallösung gibt.
Auf der Suche nach passenden Büchern, war ich um ehrlich zu sein aber ziemlich enttäuscht. Denn was im Handel als Lesebücher für die 1. Klasse angepriesen wird, das unterscheidet sich in puncto Leseniveau und Darbietung doch sehr stark.
Alle starten bei Null?
In Deutschland lernen inzwischen immer mehr Kindergartenkinder das Lesen von Buchstaben und ersten Wörtern. Der Lernstand von Erstklässlern variiert daher sehr stark und dürfte die Klassenlehrer*innen vor zusätzliche Herausforderungen stellen.
In der Regelschule werden die Buchstaben des Alphabetes in vorgegebener Reihenfolge – nicht aber alphabetisch erlernt. Umlaute und Zweilaute werden meist erst später eingeführt. Details, die mir vor dem ersten Schulkind tatsächlich so nicht bewusst waren. Und ein Umstand, der die sinnvolle Textauswahl für Erstleser tatsächlich vorerst stark einschränkt.
Auf der Suche nach geeignetem Lesematerial sollten Eltern daher im Zweifel immer den Lernstand und das individuelle Entwicklungsbedürfnis ihres Kindes im Auge behalten.
Übers Lesen und Lesenlernen
Um selbstmotiviert lesen zu lernen, brauchen Kinder vor allem kleine Erfolgserlebnisse. Der Schwierigkeitsgrad der Worte und Texte sollte daher immer zum Lernstand des Kindes passen.
Die Lernforscher Glaser und Glaser kamen 1989 zu dem Schluss, dass Lesen zunächst komplett ohne Bedeutung stattfindet. Die Verarbeitung der Sprache und die Verarbeitung ihrer Bedeutung finden dabei in zwei unterschiedlichen Bereichen des Gehirnes statt.
Schwache Leser lesen der Studie zufolge ausschließlich mit dem Kurzzeitgedächtnis. Das bedeutet, sie verarbeiten die Buchstaben eines Wortes jedes Mal einzeln und bewusst. Dies merken Eltern z.B. daran, dass Kinder ein Wort, das sie gerade erst gelesen haben im nächsten Satz wieder komplett neu, Buchstabe für Buchstabe lesen.
Automatisierung – der Unterschied zwischen Wissen und Können
Solange beim Kind noch keine sogenannte Automatisierung des Lesens stattgefunden hat, findet die gesamte Leseleistung im Kurzzeitgedächtnis statt.
Das Gehirn kann dadurch nur eine sehr begrenzte Anzahl von Elementen verarbeiten. Etwa sieben Buchstaben sind in einem Schritt möglich. Die Umwandelung der einzelnen Buchstaben zu Lauten findet dabei nacheinander statt. Das Lesen dauert so extrem lange und ist für das Kind mit viel Konzentration und großer Anstrengung verbunden.
Automatisierte Inhalte hingegen werden im Langzeitgedächtnis verarbeitet. Hier gibt es nahezu keine Mengenbegrenzung. Prozesse können außerdem gleichzeitig durchgeführt werden. Diese Parallelverarbeitung führt dazu, dass Wissen, welches im Langzeitspeichen liegt schnell und vergleichsweise mühelos abgerufen werden kann.
Manchmal lese ich meinen Kindern beispielsweise Geschichten vor, ohne sie inhaltlich wirklich bewusst mitzubekommen. Das Langzeitgedächtnis übernimmt hier also den dominanten Part.
Aufgrund der mangelnden Automatisierung sind schwache Leser schneller erschöpft und zunehmend unmotiviert. Zu anspruchsvolle Texte können außerdem dazu führen, dass Kinder schnell die Freude am Lesen verlieren. Oder sogar eine Abwehrhaltung einnehmen.
Im Vergleich zu guten Lesern, lesen sie so deutlich weniger, wodurch die dringend benötigte Automatisierung zusätzlich ausgebremst wird. Ein Teufelskreis also, bei dem schwache Leser durch ungünstige Herangehensweisen zu schlechten Lesern gemacht werden!
Für motivierte Erstleser ist es daher eher sinnvoll anfangs einzelne Worte und kurze, einfache Sätze zu lesen.
Wie erkenne ich gute Bücher für Erstleser?
Die starke Abneigung, die Kinder gegen das Lesen entwickeln, sie ist in vielen Fällen leider hausgemacht und völlig unnötig!
Wenn wir unsere Kinder fürs Lesen begeistern möchten, dann sollten wir unbedingt den Blick auf ihren Lernstand richtigen. Nicht, auf die Alters- oder Klassenangeben auf dem Buchrücken!
Bücher für Leseanfänger
Lesestoff für die ersten Wochen
Aus persönlicher Erfahrung kann ich hier wirklich einen kurzen Austausch mit dem Lehrer oder der Lehrerin empfehlen. Oft gibt es einfaches Übungsmaterial, das zum Inhalt und Aufbau des Schulmaterials passt. Viele Fibeln haben z.B. begleitende Lesebüchlein mit einfachen Wörtern oder lustigen Fragen.
Wer die bereits erlernten Buchstaben auf Zettel oder Wäscheklammern schreibt, kann außerdem spielerisch eigene erste Wörter legen und lesen.
Erste Sätze lesen
Beherrscht das Kind die einzelnen Buchstaben korrekt, machen kleine Büchlein mit kurzen, einfachen Sätzen Sinn.
Unsere Favoriten waren hier immer erst Bücher mit Silbenmethode. Durch die farbliche Gliederung in Silben fällt es Kindern oft leichter, die Buchstaben in ein sinnvolles Wort zu verwandeln.
- Lesestart mit Eberhart – Lesetext mit Silbentrennern: Lesestufe 1 – kurze, einfache Sätze
- Lesestart mit Eberhart – Lesetext mit Silbentrennern: Lesestufe 2 – kurze, erweiterte Sätze
- Graf Orthos Lesetruhe: In acht Schritten zum Erfolg – Komplettpaket mit je 3 Büchern pro Lesestufe
Wer hier schon fit ist, findet sicher Spaß an einer Wort-Rallye: Einfache Worte wie Flur, Ofen, Bad, Bett verstecken, mit Hinweis auf den Fundort des nächsten Zettels. Am Ziel findet sich vielleicht sogar ein kleiner Schatz?
Bebilderte Textbücher für Erstleser
- Lesestart mit Eberhart – Lesetext mit Silbentrennern: Lesestufe 3 – zusammenhängende Sätze auf einer Doppelseite
- Lesestart mit Eberhart – Lesetext mit Silbentrennern: Lesestufe 4 – fortlaufende Geschichte
- Leserabe:
- Der Piratenhund – mit Silbenmethode
- Einhorngeschichten – mit Silbenmethode
- Duden Leseprofi: 3-Minuten-Leserätsel für Erstleser (ohne Silben)
- Deutsch PLUS: Mein Lese-Mal-Heft
Bücher für echte Leseratten
Lesen Kinder sicher erste Sätze, darf es ruhig etwas anspruchsvoller werden. Die Reihen Leselöwen und Duden Leseprofi finde ich persönlich sehr schön.
Natürlich sollte sich der Inhalt immer nach den Interessen des Kindes richten. Ein gemeinsamer Besuch in der Bibliothek kann hier wirklich hilfreich sein und die Kosten gering halten.
- Leselöwen: Das geheimnisvolle Drachenei
- Die Schule der magischen Tiere ermittelt 1: Der grüne Glibber-Brief
- Duden Leseprofi: Die total verrückte Schrumpf-Maschine
- Tiergeschichten – Lesetraining mit Wortschatz der 2. Klasse
Vom Erstleser zum Bücherwurm
Wie schnell ein Kind diese Entwicklungsschritte abschließt ist sehr individuelle. Während einige Kinder die gesamte Grundschulzeit brauchen, um flüssig lesen zu lernen, gelingt es anderen innerhalb weniger Monate. Und auch die spätere Lust am Lesen ist sehr individuell.
Spielerisch das Lesen fördern:
- mit Hilfe von Gesellschaftsspielen
- durch Liste, Rezepte oder Pläne
- Kinderzeitschriften abonnieren
- Comics lesen
- Recherchen zu persönlichen Lieblingsthemen unterstützen
- eigene Hörspiele einlesen
- lesebasierte Apps oder Computerspiele (in altersentsprechender Dosis)
Fazit
Lesen zu lernen ist ein Marathon, kein Sprint. Um die Freude am Lesen möglichst zu erhalten, sollte unser Blick also immer auf dem Kind und seinen Bedürfnissen liegen. Gerade in der Grundschulzeit lernen Kindern nicht nur fachliche Inhalte, sie lernen auch das Lernen.
Hier ein selbstmotivierendes Umfeld zu schaffen und realistische Ziele zu setzten, ist aus meiner Erfahrung ein Geschenk, das wir unseren Kindern fürs Leben mitgeben.
Unbeauftragte Werbung?! Aufgrund der aktuellen Rechtslage, die allein schon das Nennen und Verlinken von Marken, Personen und Orten als Werbung einstuft, kennzeichne ich diesen Beitrag als unbeauftragte Werbung. Die von mir vorgestellten und verlinkten Marken, Personen und Orte sind im Rahmen meiner redaktionellen Tätigkeit für diesen Blog frei gewählt und wurden ohne jegliche Art der Gegenleistung eingebracht.
Liebe Saskia,
Vielen lieben Dank für den superübersichtlichen und toll recherchierten Artikel! Ich finde ihn sehr hilfreich und werde mir gleich noch Deine Buchempfehlungen näher ansehen!
Alles Gute
Melanie
danke für diesen wunderbaren, liebe saskia, und das aufwendigr zusammentragen von all den büchern, kommt gerade rechtzeitig 🙏🏻