Beziehungen in der Familie
Über Zeit und warum sie für Familien so wichtig ist
Normalerweise überlasse ich die provokanten Themen gerne anderen Bloggern. Aber was meine Freundin vor ein paar Wochen fast beiläufig sagte, das lässt mich seitdem nicht mehr los.
Wir sprachen darüber, wie wichtig aber auch schwer es als Eltern ist, sich immer wieder Zeit füreinander zu nehmen.
Beim Spaziergang die große Runde zu nehmen, weil man sich so viel zu erzählen hat; weit bis nach Mitternacht auf der Terrasse zu sitzen und über gemeinsame Erlebnisse zu lachen oder einfach als Team eine neue Stadt zu erkunden.
Was passiert mit Beziehungen, wenn die Zeit fehlt?
„Wir haben uns einfach auseinander gelebt.“ So lautet bei einer Trennung oft die Summe dessen, was aus Liebe, Geborgenheit und Vertrauen mit der Zeit oder eben durch fehlende Zeit geworden ist.
Klar, in der Realität ist das Ganze weitaus komplexer. Ich spanne den Bogen zur Paarbeziehungen, weil meine Freundin dann den gedanklichen Sprung in die Familie wagte.
Erwachsene können sich aus kaputten Beziehungen lösen – aber Kinder?!
Erwachsene trennen sich, wenn die Beziehung wirklich nicht mehr funktioniert.
Wenn Streit, Frust und emotionale Verletzungen überhandnehmen.
Aber wie sieht das bei Kindern aus?
Was für Optionen haben sie, wenn die Beziehung zu ihren Eltern nicht funktioniert?
Könne sie einfach ihre sieben Sachen packen und gehen?
Nein, sie müssen es oftmals einfach hinnehmen!
Streit, Frust, Rebellion und geladene Emotionen sind da durchaus verständlich, oder?
Beziehung statt Erziehung – ist da vielleicht doch was dran?
Wann immer ich in den letzten Jahren den verheißungsvollen Slogan „Beziehung statt Erziehung“ gelesen habe, war ich mental doch irgendwie raus. Zu banal und gleichzeitig viel zu komplex!
Ich denke das Problem um unsere Elternschaft zeigt sich schon dadurch, dass es nicht einmal ein anständiges Verb für das gibt, was wir da tagtäglich leisten. Selbst das Verb bemuttern trägt im deutschen Sprachgebrauch eine klar negative Bedeutung – in der maskulinen Form kommt es zudem erst gar nicht vor.
Und „erziehen“? Fällt für mich sprachlich doch eher in den Berufskreis der Erzieher und kann irgendwie nicht mit dem gesamten familiären Alltag mitziehen.
Wie also etwas knapp in Worte fassen, das so komplex und oft auch noch so individuell ist – etwas, das Eltern dennoch tagtäglich leisten?!
Wenn Erziehung die pädagogische Theorie ist, ist Beziehung dann vielleicht einfach die Praxis? Und was brauche wir, um theoretische Modelle in gelebte Praxis zu übertragen?
Schlagen wir gedanklich wieder den Bogen zur partnerschaftlichen Beziehung. Ein Bereich, in dem die meisten sicher schon mehr Erfahrung haben .
Wenn aus Fakten eine Beziehung entsteht
Erinnert ihr euch noch an den Anfang eurer Partnerschaft? Wenn man wirklich alles über einander erfahren möchte? Wenn man so manche Macke liebenswert findet und sogar gerne Kompromisse eingeht? Wenn man Unterschiede einfach stehen lassen kann und anfängt gemeinsam über die Zukunft zu sprechen?
All dies geschieht nicht so nebenbei. All dies ist meist Teil eines Highlights, das wir neudeutsch Date nennen und das viel Zeit und vor allem Präsenz voraussetzt.
Vor allem wenn wir bedenken wie schnell und komplex sich unsere Kinder in den ersten Lebensjahren entwickeln. Wenn heute Pferde toll sind und morgen lieber laut Rockmusik gehört wird. Wenn der Lieblingspulli plötzlich „Was für Babys“ ist und die beste Freundin nur noch nervt?!
Die Quality Time-Lüge
Der Quality Time Mythos ist ein Kinder der 90er und trifft damit bereits unsere eigene Kindheit.
Experten rieten damals gestressten Eltern, dass es nicht darauf ankommt wie viel Zeit wir mit unseren Kindern verbringen – sondern darauf, wie wir die Zeit nutzen. Eine Phase in der übrigens auch die Spielzeug- und Unterhaltungsindustrie die Zielgruppe Eltern so richtig für sich entdeckte.
Neben Spielzeug und Aktivitäten, die Quality Time versprechen, sehe ich hier auch einen der Gründe, warum Eltern – mich eingeschlossen – heute so begeistert von pädagogischen Konzepten wie Montessori und Waldorf sind.
Denn mal ehrlich. Die wenigsten Eltern würde auf die Idee kommen, den Lehrplan ihres örtlichen Kindergartens auszudrucken und im Familienleben zu verankern.
In der Pädagogik nach Montessori finden wir Eltern aber einen recht objektiven Ansatz, um die Zeit mit unseren Kindern „sinnvoll“ – weil produktiv, kindgerecht und fördernd – zu nutzen.
Qualität statt Quantität – eigentlich kein schlechter Gedanke. Aber einer, der bei menschlichen Beziehungen doch arg hapert.
Spaß auf Knopfdruck – geht das?
Im Buch „Living Simply with Children“ beschreibt Marie Sherlock so passend, dass Menschen nicht auf Knopfdruck das hier und jetzt genießen können. Oft braucht es einfach unstrukturierte Zeit – Zeit zum ankommen, Zeit zum treiben lassen und Zeit, um den Fokus zu öffnen.
Ich muss unweigerlich an einen Ausflug denken, den mein Mann und ich für unsere Kinder geplant haben. Wie viel Zeit das Packen und die Anfahrt gekostet haben. Und wie die Kinder dann letztlich den meisten Spaß in einem Schwimmbecken hatten. Welches wir wiederum genau so bei uns im Ort in der Badeanstalt gehabt hätten – nur ohne den ganzen Stress.
Oft legen Eltern die Messlatte unnötig hoch. Im besten Fall noch aus eigenem Antrieb – im schlimmsten, weil wir meinen, unseren Kindern „etwas bieten“ zu müssen.
Zeit, ein echter Mangelfaktor
Zeit, gerade für Eltern meiner Generation eine echte Mangelware. Und ich weiß wie unglaublich sensibel, emotional und eben fremdbestimmt dieses Thema in der Realität ist. Selbst in meinem Fall, in dem ich theoretisch den ganzen Tag für unsere Kinder da bin – merke ich, wie wenig Zeit eigentlich zum Zeithaben bleibt.
Seit Neuestem sind es bei uns vor allem die Schulzeiten, die unseren Alltag zunehmend bestimmen und Zeit immer knapper werden lassen.
Denn neben den Schulstunden allein, brauchen unsere Kinder Zeit: Zeit für Hausaufgaben, für Freund, für Hobbys und zum freien Spielen.
Zeit für die Familie wird auf der einen Seite immer knapper. Auf der anderen Seite wird die Bedeutung von guten Beziehung zu den Eltern und auch zu den Geschwistern immer größer.
Ich merke, wie anstrengend es im Alltag sein kann, sich mit den Kindern nicht „auseinander zu leben“. Denn wie wollen wir unseren Kindern Halt und Unterstützung bieten, wenn wir plötzlich nicht mal mehr wissen, wo sie gerade überhaupt im Leben stehen.
Plötzlich macht „Beziehung statt Erziehung“ für mich Sinn.
Auf der Suche nach mehr Zeit – ein Lösungsversuch
Fassen wir zusammen. Familien brauchen gesunde Beziehungen – Beziehungen brauchen Zeit!
Wo aber nehmen wir diese Zeit im alltäglichen Chaos zwischen Job, Schule, Verein und Freunden her?
Auf der Suche nach einem einfachen Leben
Zeit, sie scheint in unserer Generation absolute Mangelwaren zu sein. Auf der Suche nach mehr Leerlauf, hilft mir persönlich der Minimalismus bzw. unser Versuch eines möglichst vereinfachten Lebens.
Im Beitrag „Warum gerade Familien Minimalismus brauchen“ geben einfache Fragen die Antwort auf einen möglichst effektiven Einstieg ins Thema.
Das Buch „Simplicity Parenting“ ist für mich außerdem seit mehr als sechs Jahren eine wahre Goldgrube für Impulse in diese Richtung.
Der Familien-Therapeut Kim John Payne – den ich wirklich nicht oft genug loben kann – erklärt dort anschaulich, wie Familien ihr Leben einfacher gestalten können.
Mit vielen Jahren Berufspraxis erklärt er, was zu viel Ballast – egal ob materiell oder durch zu volle Terminkalender – mit unseren Kindern und letztlich mit der gesamten Familie macht.
Er liefert aber gleichzeitig auch viele einfache Tipps {nachlesen: Spielzeug, das niemand braucht} wie Familien den ewigen Kreislauf des „zu viel“ durchbrechen können.
Zeit für die Familie zu finden ist ganz sicher nicht einfacher aber es ist ganz sicher einer der besten Schritte, die wir für uns und unsere Kinder gehen können.
[…] Die Quality Time Lüge: Warum Zeit für Familie so wichtig ist […]